Haben wir Ärzte zweiter Klasse? – Gesundheits-Ratgeber

Medizinstudium – Immer mehr ausländische Universitäten eröffnen Niederlassungen in Deutschland. Wird die Qualität nicht immer streng geprüft?

Um in Deutschland Medizin studieren zu können, genügt kein gutes Abitur. Es muss exzellent sein. Für alle, die das nicht schaffen, hat das zur Folge, dass sie warten oder viel Geld für eine private Universität investieren müssen. Der älteste private Anbieter ist die Universität Witten/Herdecke. Dort studieren bereits seit 1983 rund 40 junge Menschen pro Semester Medizin. Für diese private Hochschule gelten inzwischen die gleichen Regeln wie für die staatliche Konkurrenz: Sie wird vom Wissenschaftsrat, einem Expertengremium zur Beratung von Bund und Ländern, regelmäßig kontrolliert und akkreditiert.

Ausländische private Studienanbieter entgehen dieser Kontrolle. Die Spezialisten für Wissenschafts- und Hochschulrecht an der Universität Erlangen beschäftigen sich schon lange mit diesem Thema. Seit 2005 regelt eine europäische Richtlinie die Anerkennung von Berufsqualifikationen zwischen den EU-Mitgliedsstaaten. Seitdem können europäische Universitäten Zweigstellen in anderen Staaten gründen und bieten in Zusammenarbeit mit deutschen Krankenhäusern Medizinstudienplätze an. Auch der klinische Teil der Ausbildung unterliege nicht den hiesigen Qualitätskontrollen und Akkreditierungsverfahren, sondern denen des jeweiligen Herkunftslandes.

Liegt die Mutteruniversität beispielsweise in England, müssen die kooperierenden deutschen Einrichtungen nur den britischen Standards genügen. So wie die Kassel School of Medicine, ein Ableger der Universität von Southampton. Sie kooperiert mit dem Klinikum Kassel. Vier Mal pro Jahr schickt die britische Hochschule Kontrolleure vorbei. Die britischen Anforderungen sind extrem hoch, so der Klinikdirektor. Er ist überzeugt, auch deutschen Maßstäben zu genügen: Wenn der Wissenschaftsrat wollte, könne er jederzeit kommen.“

Doch der Wissenschaftsrat ist für Angebote europäischer Universitäten in Deutschland nicht zuständig. Für alle Universitäten gilt eine europäische Richtlinie. Demnach muss ein Medizinstudium an einer Universität stattfinden, mindestens fünf Jahre dauern und 5.500 Ausbildungsstunden umfassen. Solange diese Voraussetzungen erfüllt werden, gibt es keine juristische Handhabe, um die Anerkennung der jeweiligen Abschlüsse zu verweigern.

Diese Gemengelage ruft Kritiker auf den Plan, die die hochwertige Medizinversorgung in Deutschland in Gefahr sehen. Die Sorgen sollen zum Teil berechtigt sein. Österreich hat mittlerweile seine Akkreditierungs-Richtlinien geändert. Es kontrolliere nun die Angebote der ausländischen Partner nicht mehr. Da auch kein deutsches Kontrollorgan zuständig ist, entsteht gewissermaßen ein rechtsfreier Raum.

Eine Zweiklassenausbildung von Medizinern befürchtet die Arbeitsgemeinschaft Wissenschaftlicher Medizinischer Fachgesellschaften. Der ärztliche Direktor des Universitätsklinikums Würzburgerklärt, dass ein abgespecktes Studium auf keinen Fall ausreicht, um junge Ärzte auf ihre verantwortungsvollen Aufgaben vorzubereiten. Er sieht auch ein Finanzierungsproblem, denn mit Studiengebühren allein ließen sich die Qualitätsstandards einer wissenschaftlich fundierten Ausbildung nicht gewährleisten. Auf der Strecke bleiben oft Forschung und Lehre.

Ähnlich kritisch äußert sich die Hochschulrektorenkonferenz. Deren Vizepräsidentin für Hochschulmedizin und Gesundheit und Rektorin der Universität Greifswald, sagt, das die Qualitätssicherung und die Wissenschaftlichkeit des Medizinstudiums sind von herausragender Bedeutung sind. Dazu muss der wechselseitige Austausch von Forschung, Lehre und Praxis gewährleistet sein. Vielen Angeboten mangele es aber bereits an Grundsätzlichem, beispielsweise an Informationen zur Qualifikation des Lehrpersonals und zu den Studieninhalten. Die Hochschulrektorenkonferenz sieht die Bundesländer in der Pflicht, die Qualitätsstandards zu verbessern.

Auch der Wissenschaftsrat richtet sich an die Länder. In einem Positionspapier fordert er sie auf, ihre Kontroll- und Aufsichtsrechte auszuschöpfen – so weit, wie es die europäischen Regelungen zulassen. Auf lange Sicht müssten sich Bund und Länder „für konkrete, europaweit einheitliche Grundsätze der Qualitätssicherung bei grenzüberschreitenden Ausbildungsangeboten“ einsetzen. Keine Frage, eine europäische Lösung wäre ideal – auch für die Patienten. Denn ihnen bleibt nichts anderes übrig, als auf die Ausbildungsqualität zu vertrauen – an staatlichen wie an privaten Universitäten.

Begehrte Studienplätze

Jedes Semester bemühen sich mehr als 43.000 Bewerber um einen der knapp 10.000 Medizinstudienplätze an deutschen Universitäten. Wer einen bekommt, bestimmen ein zentrales Zulassungssystem und die Hochschulen selbst. Entscheidend ist die Abiturnote. Wer nicht Jahre auf einen positiven Bescheid warten will, kann versuchen, einen nichtstaatlichen Studienplatz zu bekommen. Im Jahr 2014 gab es davon rund 300. Die Studiengebühren liegen zwischen 50.000 und 80.000 Euro. Meist absolvieren die Studenten den ersten Teil ihrer Ausbildung an der ausländischen Universität und den klinischen Teil an deutschen Kliniken. Ihren Abschluss, den sie im Herkunftsland der Universität nach dortigen Regeln erwerben, können sie sich in Deutschland anerkennen lassen.

 

Ein Beitrag unserer/s Leserin/s Hannelore Kuhlmann aus Nordhorn in Niedersachsen.
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