Die Zahl der Unfälle auf freier Strecke nimmt immer mehr zu. Wenn es kracht, kommen meist mindestens zwei Ursachen zusammen: Unaufmerksamkeit des Fahrers und schlechter Straßenzustand.
Wieder einmal muss die Feuerwehr ausrücken. Zwei Pkw sind auf freier Strecke frontal zusammengekracht. Für vier junge Insassen, zwischen 22 und 28 Jahre alt, kommt jede Hilfe zu spät. Der Lenker des anderen Pkw ist schwerverletzt. Sehr schnell ist klar: Der Fahrer des vollbesetzten Wagens war versehentlich in die rechte Straßenbankette geraten, hatte beim heftigen Gegenlenken die Kontrolle über sein Auto verloren. Nur wenige Tage zuvor im Schwarzwald: Ein 24jähriger kommt mit seinem Pkw auf einer Landstraße in den ausgewaschenen Randstreifen, schleudert und prallt gegen einen Baum. Er ist sofort tot.
„Täglich mehrfach“ werden Unfallforscher in Polizeiberichten mit Unfällen wie diesen konfrontiert – schlimme Szenarien, die stets eines gemein haben: Sie geschehen auf Landstraßen an vermeintlich unkritischen Stellen und haben schreckliche Folgen. Zwei Dinge kommen da zusammen: eine kurze Unaufmerksamkeit des Fahrers und dazu bauliche Mängel der Straße, die den Crash nach einem Fahrfehler begünstigen. Die gängigsten Straßenmängel: ausgefahrene Ränder (Bankette], fehlende Seitenmarkierungen, holpriges Asphalt-Flickwerk, starke seitliche Fahrbahnneigung, unübersichtliche Straßenführung, gefährliche Kreuzungen.
Das alles haben die Automobilclubs schon häufig angeprangert, doch die Straßenbaubehörden üben sich in vornehmer Zurückhaltung. Es fehle an Geld für mehr Sicherheit, so das Standardargument. Die Automobilclubs haben Gegenargumente, die deutlich zum Handeln auffordern: Erstmals seit 20 Jahren ist die Zahl der Verkehrstoten 2010 gestiegen – um 9,4 Prozent auf 4001. Mehr als 60 Prozent der Opfer starben auf Landstraßen. Analysen der ADAC Unfallforschung ergaben, dass am stärksten jene Crashs zunahmen, die durch schlechte Straßen begünstigt wurden: Unfälle nach Abkommen von der Fahrbahn.
Es gibt weitere alarmierende Erkenntnisse des ADAC: Rund 14.000 km Bundesstraßen in Deutschland hat der Club inzwischen im Rahmen des europäischen Straßentests EuroRAP mit seinem Analyse-Fahrzeug überprüft. Mehr als die Hälfte der Strecken erreicht nur einen oder zwei von vier möglichen Sternen, muss demnach als riskant oder sogar hochriskant eingestuft werden. Das deckt sich mit Beobachtungen mehrerer Landesrechnungshöfe. Die Finanzprüfer, eigentlich auf Sparsamkeit bedacht, geißeln immer heftiger den Verfall der Infrastruktur und fordern Investitionen. 63 Prozent der Landstraßen seien „in einem so schlechten Zustand“, dass „unverzügliches Handeln“ notwendig sei, klagt etwa der Rechnungshof in Bayern.
„Angesichts steigender Unfallzahlen brauchen die Landstraßen dringend ein Fitnessprogramm“, so der ADAC „Ein systematischer Sicherheits-Check und das rasche Beseitigen aller Gefahrenstellen sind überfällig und laut EU-Richtlinie längst Pflicht.“
Fazit: Die „Fehler verzeihende und selbst erklärende Landstraße“, wie der ADAC sie fordert, ist in weiten Teilen des Straßennetzes pure Fiktion. Für die Verkehrsteilnehmer bedeutet das: höchste Aufmerksamkeit. Und zwar immer und überall.
Eine Selbstverständlichkeit? Leider nein. 40 Prozent der Fahrer und Fahrerinnen telefonieren regelmäßig im Auto ohne Freisprecheinrichtung, ein Fünftel liest und schreibt SMS beim Fahren, mehr als die Hälfte stellt währenddessen das Navigationsgerät ein. Das ergab eine aktuelle Studie der Allianz Versicherung, die zugleich auf weitere Ablenkungsquellen im Pkw hinweist: immer komplexere Unterhaltungselektronik, unübersichtliche Bedienungselemente, aber auch sachfremde Tätigkeiten wie Essen und Trinken, Rauchen, Schminken, Rasieren, intensive Gespräche oder ständige Kontrollblicke zu mitfahrenden Kindern.
Wieso diese Bereitschaft zur Ablenkung? Die vertraut heimelige Atmosphäre im Auto gibt dem Fahrer ein trügerisches Sicherheitsgefühl. Das verleitet zur Annahme, man könne problemlos diversen Nebentätigkeiten nachgehen. Doch gerade auf der Landstraße müssen alle Sinne dem Fahren und dem Verkehrsgeschehen gelten. Zwei Sekunden Unaufmerksamkeit bei Tempo 100 bedeuten 60 Meter Blindflug.
Eine SMS angeschaut und schon kann sich das Auto mit zwei Rädern im Schotter befinden. Das schlagartige „Erwachen“ aus kurzer Unaufmerksamkeit führt dann oft zu fatalen Fehlreaktionen. Dabei ist ein Abrutschen in die Bankette weit weniger schlimm als von den meisten Autofahrern befürchtet. Wenn’s passiert, dann bloß keine hektischen Lenkmanöver. In der Rinne bleiben, Gas weg, sanft abbremsen. Und keine Angst vor den Leitpfosten. Die sind aus Plastik und viel weicher als der Gegenverkehr.
(Stand: 31.07.2011)
Hinterlasse jetzt einen Kommentar