Fordern und fördern Sie Ihr Gehirn
Wie funktioniert es, unser Gedächtnis? Lässt es sich mit einem Dachboden, einer Festplatte oder gar einer Bibliothek vergleichen? Nein, diese Bilder treffen es nicht richtig. Wer verstehen will, wie unser Gedächtnis arbeitet, der liegt mit dem Bild eines dichten Netzes von Glühbirnen richtiger, ein Teppich, so groß wie ein Fußballfeld. Leuchtet eine bestimmte Gruppe der Glühbirnen in gewisser zeitlicher Reihenfolge auf, entsteht ein Bild im Kopf – unsere Erinnerung.
Die Glühbirnen kann man mit den Nervenzellen und die Verbindungen zwischen ihnen mit den Synapsen unseres Gehirns vergleichen. Um ein bestimmtes Bild zu erzeugen, zum Beispiel den Buchstaben ‚A‘, müssen einige der Verbindungen den elektrischen Widerstand erhöhen, andere ihn herabsetzen. So können die Glühbirnen, die das ‚A‘ bilden, heller aufleuchten als der Rest. Unsere Erinnerungen werden in Form solcher neuronalen Netze abgespeichert. Werden sie öfter aufgerufen, reichen später wenige Puzzleteile, um den Buchstaben ‚A‘ zu erkennen. Entsteht ein neues Netz, haben wir etwas dazugelernt.
Gedächtnis ist nicht gleich Gedächtnis
Wissenschaftler unterscheiden jedoch mindestens vier verschiedene Formen des Gedächtnisses. Eines ist unser Faktengedächtnis. Hier finden Städtenamen, Geburtstage oder Telefonnummern ihren Platz. Des weiteren verfügt der Mensch über ein autobiografisches Gedächtnis, um persönliche Erlebnisse abzulegen. Es ist der Ort für den Verlust des ersten Milchzahns, die Feier zum Schulabschluss oder den ersten Kuss. Doch haben Sie schon einmal versucht, während des Radfahrens oder Joggens Ihren Sportkameraden genau zu erklären, wie und warum Sie sich so bewegen, wie Sie es gerade tun?
Wer das versucht, wird vermutlich schnell ins Straucheln geraten, denn hier ist unser prozedurales Gedächtnis gefragt, und das arbeitet nicht wie die zwei eingangs genannten Formen, sprachbasiert, sondern intuitiv. Motorische Abläufe wie das Radfahren oder das Laufen, das Spielen eines Musikinstrumentes oder das Autofahren gehören in diesen unbewussten Bereich. Hier passt das Bild eines Flussbettes, das sich immer tiefer eingräbt und so lässt sich auch nachvollziehen, warum Dinge wie eine einmal falsch angewöhnte Sitzhaltung nur schwer zu korrigieren ist. Die vierte Form schließlich ist das Wahrnehmungsgedächtnis. Es hilft uns, etwas sehr schnell einzuordnen, ohne aktiv darüber nachzudenken. Erkennt man bestimmte Umrisse, weiß man, es handelt sich um ein menschliches Gesicht oder Flossen signalisieren uns automatisch Fluss- und Meeresbewohner.
Von Telefonnummern und Einkaufszetteln
Doch warum lässt unsere Gedächtnisleistung mit zunehmendem Alter nach? Davon betroffen sind vor allem unser Fakten- und unser autobiografisches Gedächtnis. Ab dem 25. Lebensjahr verschlechtert sich das Kurzzeitgedächtnis eines Menschen. Mit zunehmendem Alter werden wir zwar besser darin, unser vorhandenes Wissen zu kombinieren und anzuwenden, aber schlechter darin, Neues zu integrieren, stellte die Wissenschaft fest. Letzteres lässt sich jedoch ohne Weiteres trainieren und der Erfolg ist garantiert.
Dabei gilt es allerdings zu beachten: Verbessern lässt sich die eigene Gedächtnisleistung immer nur in dem Bereich, den man gerade trainiert. Wer also Zahlenreihen auswendig lernt, wird später weniger Schwierigkeiten haben, sich Telefonnummern zu merken. Den Einkaufszettel für den nächsten Gang zum Supermarkt hat er deshalb aber noch nicht im Kopf. Es käme darauf an, lebensnah, also in und mit Alltagssituationen, zu üben, damit das Gehirn Anknüpfungspunkte zu vorhandenem Wissen findet. Wer im Sinne einer geistigen Gesamtfitness trainieren möchte, sollte zudem möglichst komplexe Aufgaben lösen, die mehrere Bereiche des Gehirns ansprechen – wie das Spielen eines Musikinstruments oder das Tanzen. So haben wissenschaftliche Untersuchungen ergeben, dass Partner, die regelmäßig tanzen gehen, etwa acht bis zwölf Jahre später als andere an Demenz erkranken. Sie trainieren, Musik zu hören, um sie in Bewegungen umzusetzen, die sie mit dem Partner koordinieren, und pflegen gleichzeitig soziale Kontakte.
Hätten Sie es gewusst?
Ungeborene erinnern sich
Sie sind noch gar nicht richtig auf der Welt, aber schon im Bauch ihrer Mutter können sich Ungeborene im Alter von 30 Wochen bis zu zehn Minuten lang an Geschehnisse um sie herum erinnern. Herausgefunden hat das ein niederländisches Forscherteam.
244 Wörter in einer Viertelstunde
Mit diesem Ergebnis stellte die damals 17-jährige Dorothea Seitz aus dem Internat Schloss Torgelow im Jahr 2009 laut Spiegel Online sogar die Erwachsenen in den Schatten. Zur Gedächtnisweltmeisterschaft in London schaffte sie es, sich in einer Viertelstunde 244 Wörter einzuprägen, und stellte damit einen neuen Weltrekord auf.
Elefanten vergessen nie?
Sie sind die größten Landsäugetiere der Erde. Ihr Gehirn kann bis zu 5,5 Kilogramm wiegen und Elefanten haben tatsächlich ein besseres Gedächtnis als die meisten anderen Tiere. Doch ob sie ihre Erlebnisse tatsächlich – wie sprichwörtlich gerühmt – niemals vergessen, lässt sich bis heute nicht nachweisen.
Schutzfunktion Gedächtnisverlust
Manchmal hilft der Körper sich selbst, zum Beispiel im Fall schwerster Traumata. Auch und gerade wenn diese länger zurückliegen, können eine plötzliche Stresssituation und die dadurch bedingte Ausschüttung von Stresshormonen dazu führen, dass Betroffene die Erinnerungen an traumatische Ereignisse plötzlich nicht mehr abrufen können. Durch Veränderungen in der Biochemie des Gehirns werden genau die Regionen blockiert, in denen die Schreckenserlebnisse gespeichert sind.
Männer sind besser in Mathematik – Lernirrtum oder nicht?
Wer Informationen aus dem Gedächtnis abrufen möchte, der muss es vorher gefüllt, also etwas gelernt haben. Doch ist es wirklich richtig, dass wir dazu einen festen Ort brauchen, dass Männern Mathematik naturgegeben besser liegt oder dass Übung den Meister macht?
Lernt man am besten an gewohntem Ort?
Stimmt, denn wenn wir uns an unserem favorisierten Lernort befinden, traditionell der eigene Schreibtisch, sind wir konzentrierter und motivierter. Das Gehirn speichert diese Situation als Lernsituation ab und wechselt automatisch in den entsprechenden Modus, wenn wir uns dort aufhalten, erklärt es die Forschung. Wer jedoch unterwegs ist und lernt, also beispielsweise einen Vortrag hört, dem hilft später die möglichst genaue Erinnerung an die jeweilige Umgebung, um sich Einzelheiten wieder ins Gedächtnis zu rufen.
Wer mehrfach liest, hat schon gelernt?
Stimmt nicht. Das Lesen allein bringt nur wenig Lernerfolg. Nur an etwa 20 Prozent dessen, was wir lesen, können wir uns später erinnern, hat die Wissenschaft festgestellt. Erklären wir das Gelesene hingegen anderen oder schreiben es noch einmal in eigenen Worten auf, erhöht sich die Chance, Informationen zu behalten, auf rund 60 Prozent.
Macht Übung den Meister?
Stimmt nicht. Übung allein jedenfalls macht noch keinen Meister. Das wiederholte Üben trägt entscheidend dazu bei, bestimmte Sachverhalte aus dem Kurzzeit- ins Langzeitgedächtnis zu überführen. So bleibt das Kurzzeitgedächtnis offen für Neues. Aber: Genauso wichtig wie das Üben ist das Verstehen dessen, was wir lernen. Wer nicht versteht, dessen Gehirn stellt keine Verbindungen zu anderen Lernbereichen her. So werden Zusammenhänge nicht erkannt und neue, kreative Lösungsansätze bleiben auf der Strecke.
Sind Männer besser in Mathematik, Frauen besser in Sprachen?
Stimmt – mit Einschränkungen. Männer haben das bessere räumliche Vorstellungsvermögen und tun sich mit komplexen mathematischen Beweisen leichter als Frauen. Hingegen können Frauen besser mit Sprache umgehen. Sie sprechen pro Tag zwar nicht mehr Wörter als ein Mann, besitzen aber in der Regel einen größeren aktiven Wortschatz. Das bedeute jedoch nicht, dass es nicht auch Männer gäbe, die gut in Fremdsprachen seien, oder Frauen, die fit sind in Mathematik, so die Wissenschaft. Erst an der Leistungsspitze dieser Fächer würden Unterschiede sichtbar.
Lässt ein hoher Intelligenzquotient leichter lernen?
Stimmt nicht. Wissen schlägt IQ, stellte die Wissenschaft fest. Auch jemand mit einem hohen Intelligenzquotienten muss sich neuen Lernstoff erst einmal aneignen. Wenn jemand bereits einen durch Fleiß erworbenen Wissensvorrat hat und somit um Vieles weiß, an das neue Informationen angeknüpft werden können, lernt er leichter. Es gilt: Wer grundsätzlich lernfaul ist, dem hilft auch ein hoher Intelligenzquotient nicht weiter.
Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr?
Stimmt nicht. Neues zu lernen ist immer möglich. Die Gedächtnisprozesse älterer Menschen laufen einfach nur langsamer als bei jüngeren, stellte die Wissenschaft fest: Der Ältere braucht deshalb mehr Ruhe, Zeit und Selbstvertrauen, um zu den gleichen Ergebnissen zu kommen wie der Jüngere.