Was Sie beachten müssen, wenn wichtige Medikamente aus der Rezeptpflicht entlassen werden.
Viele Frauenärzte waren dagegen. Trauten den Apothekern nicht zu, Kundinnen nach einer Verhütungspanne angemessen zu beraten. Doch die Arzneimittelfachleute stellten sich der Herausforderung. Organisierten Fortbildungsveranstaltungen. Entwickelten einen Leitfaden samt Checkliste für das Beratungsgespräch. Die ,Pille danach‘ ist ein erfolgreiches Beispiel dafür, dass Apotheker eine wichtige Beratungsfunktion erfüllen, so der Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH) in Bonn.
Seit März 2015 gibt es Notfallverhütungsmittel ohne Rezept in der Apotheke. Die Nachfrage stieg zunächst deutlich und pendelte sich inzwischen auf etwa 60.000 Packungen im Monat ein. Nur noch etwa jede fünfte Packung wird auf ärztliche Verordnung abgegeben. Vorteil: Nach ungeschütztem Geschlechtsverkehr können sich Frauen sofort die ,Pille danach‘ besorgen – auch am Wochenende. Und das verringert das Risiko einer ungewollten Schwangerschaft.
Vorratshaltung unterbunden
Laut der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) seien dank der intensiven Beratung bislang keine Probleme aufgetreten. Damit das so bleibt, gibt es die ,Pille danach‘ nicht über Versandapotheken, erklärt die Bayerische Landesapothekerkammer. Auf diese Weise sei ausgeschlossen, dass junge Frauen sich das Mittel auf Vorrat besorgen. Außerdem würde bis zur Lieferung wertvolle Zeit verloren gehen.
In den vergangenen Jahrzehnten wurden in Deutschland viele wichtige Arzneimittel aus der Rezeptpflicht entlassen. Darunter Schmerzmittel und Wirkstoffe gegen Allergien, Pilzinfektionen und Sodbrennen. Deutschland hat sich im europäischen Vergleich eine führende Rolle in der Selbstmedikation erarbeitet. Der Sachverständigenausschuss für Verschreibungspflicht prüft, ob Medikamente auf Antrag des Herstellers aus der Rezeptpflicht entlassen werden können. Er klärt also, ob Wirkstoff, Darreichungsform und Anwendungsgebiet für die Selbstmedikation geeignet sind und ob der Patient mit der Anwendung zurechtkommt. Befürwortet der Sachverständigenausschuss einen Antrag, kann das Bundesgesundheitsministerium eine Verordnung erlassen, die der Bundesrat bestätigen muss.
System funktioniert
Während in den 1990ern viele Wirkstoffe freigegeben wurden, ist es inzwischen etwas ruhiger geworden. Die Sicherheit der Patienten steht immer im Mittelpunkt. Treten Probleme auf, könne das Medikament auch wieder der Rezeptpflicht unterstellt werden. Solche Fälle seien jedoch selten – ein Beweis, dass das System funktioniert.
Demnächst sollen zwei kortisonhaltige Nasensprays zur Behandlung von Heuschnupfen rezeptfrei werden. Bei jedem neuen Fall sind die Apotheker verstärkt als Arzneimittelexperten gefordert: Die Beratung durch den Fachmann vor Ort ist durch nichts zu ersetzen.
Es muss einiges geklärt werden
Die Apotheker klären unter anderem, ob der Patient seine Beschwerden richtig einordnen kann und das Präparat für seine Erkrankung geeignet ist oder ob er besser doch gleich zum Arzt gehen sollte.
Bisweilen ermöglicht die Freigabe die Selbstmedikation von Erkrankungen, die zuvor in der Hand des Arztes lagen. Beispiel Migräne: Vor einigen Jahren wurden mit Naratriptan und Almotriptan zwei Präparate aus der Rezeptpflicht entlassen. Dadurch können die Patienten stärker vom therapeutischen Fortschritt profitieren. Wer will sich schon bei einem Migräneanfall in die Arztpraxis setzen, um eine Verschreibung zu erhalten. Apotheker dürfen die Mittel allerdings nur abgeben, wenn ein Arzt die Migräne bereits diagnostiziert hat: Bei anderen Kopfschmerzen sind sie wirkungslos.
Um ein geeignetes Präparat empfehlen zu können, fragen Apotheker im Beratungsgespräch, seit wann die Beschwerden bestehen und zu welcher Tageszeit sie verstärkt auftreten. Zudem klären sie, ob der Patient andere Erkrankungen hat und deshalb weitere Medikamente einnehmen muss. Manche Arzneistoffe verursachen als Nebenwirkung Magenbeschwerden oder Reizhusten. Statt dem Patienten gegen diese Beschwerden ein rezeptfreies Mittel auszuhändigen, schickt er ihn zum Arzt, der gegebenenfalls die Medikamente umstellt.
Eigenverantwortung gefragt
Ob ein Präparat rezeptfrei wird, hängt oft auch von der enthaltenen Dosis sowie der Packungsgröße, dem Anwendungsgebiet oder Arzneiform ab. Die Frage ist nur, wie sinnvoll solche Einschränkungen sind. Mehrere kleine Packungen aus verschiedenen Apotheken ergeben schließlich auch eine große. Für die Apothekeninhaber ist die Freigabe nur in Verbindung mit einer umfassenden Beratung in der Apotheke sinnvoll.
Für den Patienten ist der freie Zugang zu einem Medikament aber auch eine bittere Pille: Er muss es nämlich aus eigener Tasche bezahlen – selbst wenn es vom Arzt auf einem grünen Rezept verschrieben wird. Doch kann es sich lohnen, bei der Krankenkasse nachzufragen. Einige übernehmen die Kosten inzwischen zumindest zu einem Teil, etwa bei Mitteln gegen Heuschnupfen. Für den Patienten heißt das: Rezepte sammeln und mit Antrag und Quittung bei der Kasse einreichen. (Stand: Juli 2016)
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