Von Tieren lernen – Die Frage des Tages

Um den Willen ihrer Götter zu erkunden, beobachteten die alten Römer Vögel. Wenn etwa ihre heiligen Hühner von hingeworfenem Futter fraßen und ihnen da-bei etwas aus dem Schnabel fiel, galt dies als gutes Zeichen für geplante Handlungen.

Dass moderne Naturwissenschaftler mit solchen Praktiken nichts anfangen können, ist klar. Von Tieren versuchen aber auch sie zu lernen, zum Beispiel bei einem Projekt namens Icarus, bei dem Tierwanderungen auf der Erde aus dem All verfolgt werden. Worauf beruhen die Hoffnungen der Forscher?

Antwort: Dass es mehr Möglichkeiten gibt, die Welt wahrzunehmen, als es die klassischen fünf Sinne des Menschen, das heißt das Hören, Sehen, Riechen, Schmecken und Tasten, nahelegen, ist schon lange bekannt. So hat sich zum Beispiel gezeigt, dass viele Tiere in der Lage sind, sich am Erdmagnetfeld zu orientieren. Bienen besitzen die Fähigkeit, für Menschen unsichtbare ultraviolette (UV) Strahlung wahrzunehmen, und manche Käfer verfügen über Infrarotsensoren, die ihnen verraten, wo es Waldbrände gibt. Um beispielsweise Erschütterungen zu spüren oder Gasaustritte zu erkennen, bedarf es keiner Sinnesorgane, die sich grundsätzlich von denen des Menschen unterscheiden. Möglich ist allerdings, dass dies manchen Tieren schneller gelingt als Menschen. Schließlich ist das Wahrnehmungsvermögen bei unterschiedlichen Arten unterschiedlich stark ausgeprägt. Hunde zum Beispiel verfügen bekanntermaßen über feine Nasen.

Für bevorstehende Naturkatastrophen scheinen viele Tiere ein besonderes Gespür zu haben. So stellte sich zum Beispiel heraus, dass Erdkröten wenige Tage vor dem Erdbeben, das im April 2009 Teile der italienischen Stadt L’Aquila zerstörte, aus ihrem Laichgebiet in der Nähe der Stadt verschwunden waren. Eine Forschergruppe um Professor Martin Wikelski vom Max-Planck-Institut (MPI) für Ornithologie in Radolfzell bei Konstanz hat Ziegen, die auf Sizilien im Bereich des Vulkans Ätna lebten, mit Sendern ausgestattet und über mehrere Jahre die Bewegungen der Tiere verfolgt. Auf außergewöhnliche Bewegungsmuster stießen die Wissenschaftler unter anderem im Januar 2012, und zwar sechs Stunden bevor der Ätna begann, große Mengen an Material in die Luft zu schleudern.

Vor diesem Hintergrund beschäftigt sich Wikelski bereits seit einigen Jahren als wissenschaftlicher Leiter mit der Entwicklung des Icarus-Projekts. Icarus steht für International Cooperation for Animal Research Using Space. Genau genommen handelt es sich um ein Projekt des Max-Planck-Instituts (MPI) für Ornithologie, der russischen Weltraumorganisation (Roskosmos) und der Raumfahrtagentur des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt. Die technische Ausstattung ist vollständig; zwei russische Kosmonauten haben an der Internationalen Raumstation (ISS) eine Antenne installiert. Sie dient dazu, Daten von mit Sendern ausgestatteten Tieren in aller Welt zu empfangen. Die Funksender sind so groß wie ein Daumennagel und wiegen fünf Gramm. Nach Darstellung der Max-Planck-Gesellschaft können selbst kleine Tiere wie Singvögel damit ausgestattet werden, ohne dass sich deren Verhalten ändert. Die Geräte sammeln Daten zur Beschleunigung, zur Umgebungstemperatur sowie zur Ausrichtung zum Erdmagnetfeld und zeichnen mithilfe von Satellitennavigationsdaten die Tierrouten auf. Über die Internationale Raumstation gelangen die Informationen zu einer Bodenstation, die sie an Forschergruppen weiterleitet.

Den möglichen Nutzen solcher Informationen beschreibt Wikelski am Beispiel von Störchen, die zum Überwintern in afrikanische Gebiete südlich der Sahara ziehen. Am Südrand der Wüste rasten die Vögel, die sich unter anderem von Fischen, Schlangen, Mäusen und größeren Insekten ernähren, nach den Worten des Wissenschaftlers häufig in der Nähe von Heuschreckenbrutstätten. Damit lieferten sie Anhaltspunkte, wo sich Insektenschwärme befänden. Die Heuschrecken sind dafür bekannt, dass sie große Mengen an pflanzlichem Material vertilgen und wirtschaftliche Schäden verursachen können. Die Daten der Störche können laut Wikelski im Kampf gegen Schädlingsplagen helfen. Auf einen anderen Aspekt weist Wikelskis Kollege Grigori Tertitski von der Russischen Akademie der Wissenschaften hin. Wer die Zugrouten kleiner Vögel, die sich möglicherweise in Asien mit der Vogelgrippe infiziert hätten, kenne, bekomme zugleich eine Vorstellung, wo sie andere Tiere anstecken könnten.

Vom Icarus-Projekt versprechen sich Verhaltensforscher nicht zuletzt Informationen über die Lebensbedingungen unterschiedlicher Tierarten. Auch bei der Vorhersage von ökologischen Veränderungen und Naturkatastrophen könnten die Daten helfen.

 

Ein Beitrag unserer/s Leserin/s Paul Ruam aus Grossrosseln im Saarland.
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