Die zahlreichen Überreste von Neandertalern, die Forscher im Laufe der Zeit gefunden haben, zeugen davon, dass diese Verwandten des anatomisch modernen Menschen, des Homo sapiens, im Durchschnitt ungefähr 1,60 Meter groß wurden.
Von modernen Menschen unterschieden sie sich unter anderem aufgrund ihres deutlich breiteren Beckens und ihrer kräftigeren Beine. Lange Zeit dominierte das Bild von eher unbeholfenen, unflexiblen Wesen. Warum wird diese Vorstellung den Neandertalern nicht gerecht?
Antwort: In den vergangenen Jahren sind zahlreiche Studien veröffentlicht worden, die das Bild vom schwerfälligen Neandertaler korrigieren. Zu den jüngsten Beispielen zählt eine im Fachjournal „Science Advances“ vorgestellte Arbeit einer Forschergruppe um Alexandros-Fotios Karakostis und die Professorin Katerina Harvati von der Universität Tübingen, die deutlich macht, dass es den Neandertalern keineswegs an Fingerspitzengefühl mangelte. Die Wissenschaftler widerlegen die Annahme, dass sich die vor etwa 40.000 Jahren ausgestorbenen Verwandten des modernen Menschen beim Einsatz ihrer Hände hauptsächlich auf ihre Kraft verlassen hätten.
Die Forscher unterscheiden zwischen Kraft- und Präzisionsgriffen. Während beim Kraftgriff die gesamte Handinnenfläche und alle Finger eingesetzt werden, werden beim Präzisionsgriff vor allem Daumen und Zeigefinger und die Fingerkuppen genutzt, um Gegenstände zu halten oder zu führen. Neandertaler haben nach den Erkenntnissen der Gruppe um Karakostis bei ihren Tätigkeiten auch das Mittel des Präzisionsgriffs eingesetzt. Belege hierfür fanden die Wissenschaftler, als sie an fossilem Skelettmaterial die Stellen untersuchten, an denen einst Muskeln und Sehnen mit dem Knochen verbunden waren. Die Fachleute sprechen in diesem Zusammenhang von Muskelansatzmarken. Diese erkennbaren Stellen wurden dreidimensional vermessen und analysiert.
Bei der Deutung ihrer Ergebnisse half den Wissenschaftlern der Vergleich mit Skeletten von Menschen, die in einer aus dem 19. Jahrhundert stammenden Sammlung des Naturhistorischen Museums Basel aufbewahrt werden. Das Besondere an dieser Sammlung ist, dass es neben den Skeletten Informationen zu den Lebensumständen und Berufen der Verstorbenen gibt. „Wenn wir beispielsweise die Hand eines Schmiedes untersuchen, können wir an den Muskelansatzstellen zeigen, dass dieser in seinem Alltag häufig Kraftgriffe verwendet hat“, erläuterte der an der Studie beteiligte Basler Forscher Gerhard Hotz.
Keines der untersuchten Neandertalerskelette wies nach Darstellung der Wissenschaftler Belege dafür auf, dass über lange Zeit Kraftgriffe eingesetzt wurden. Die verbreitete Ansicht vom eher tollpatschigen, kraftvollen Neandertaler sei daher abzulehnen, erklärt Katerina Harvati. „Wie moderne Menschen waren Neandertaler kompetente Werkzeugmacher und -nutzer, die bei ihren täglichen Aktivitäten überwiegend präzise Hand- und Fingerbewegungen vollführten.“
Die Bezeichnung Neandertaler erinnert an ein Tal in der Nähe von Düsseldorf. Im Sommer 1856 entdeckten Steinbrucharbeiter dort in einer Grotte Knochenfragmente, die diesem Verwandten des modernen Menschen zugeordnet werden konnten. Wissenschaftler nehmen an, dass sowohl der Homo sapiens als auch der Neandertaler (Homo neanderthalensis) aus einem gemeinsamen Vorfahren, dem sogenannten Homo erectus, hervorgegangen sind, übersetzt bedeutet Homo erectus aufgerichteter Mensch und Homo sapiens so viel wie wissender, verstehender Mensch. Fachleute gehen davon aus, dass der ausgestorbene Homo erectus zwar wie der anatomisch moderne Mensch aufrecht gehen konnte, diesem aber, was die geistige Leistungsfähigkeit anbelangt, unterlegen war. Von Neandertalern ist bekannt, dass sie Tote bestatteten und Schmuck herstellten. Zu ihrer Nahrung gehörten nicht nur große Pflanzenfresser wie Mammute und Wollnashörner, sondern auch Fische und Pflanzen.
Dass Neandertaler bei der Jagd Speere verwendeten, belegen unter anderem Skelette großer Damhirsche einer inzwischen ausgestorbenen Art, die Jagdverletzungen aufweisen und in der Nähe der heutigen sachsen-anhaltinischen Stadt Halle an der Saale gefunden wurden. Die Tiere lebten vor etwa 120.000 Jahren. Mithilfe von Experimenten haben Forscher rekonstruiert, wie die Neandertaler ihre Speere einsetzten. Diese wurden demnach nicht als Wurf-, sondern als Stoßwaffe verwendet, das heißt: Die Neandertaler haben sich den Tieren so weit genähert, dass sie mit ihren Speeren zustoßen konnten. Die Experimente haben deutlich gemacht, dass die Speere in einer vergleichsweise langsamen Aufwärtsbewegung auf die Damhirsche trafen.
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